Verworrene Pfade zum Nobelpreis
07/23/2019580 ausgewählte junge Wissenschaftler aus 89 Nationen haben sich mit 39 Nobelpreisträgern in Lindau getroffen. Zwei Physik-Doktoranden der Uni Würzburg waren auf der einwöchigen Nobelpreisträgertagung mit dabei.
Eine Rekordzahl von 89 Nationen war auf der 69. Lindauer Nobelpreisträgertagung vom 30. Juni bis 5. Juli 2019 vertreten, 580 Nachwuchswissenschaftler sind dort mit 39 Nobelpreisträgern zusammengekommen. Auch zahlreiche Wissenschaftsakademien, Universitäten, Stiftungen und forschende Unternehmen haben sich am Lindauer Austausch- und Dialogforum beteiligt. Das diesjährige Programm hat sich turnusgemäß der Physik gewidmet, entsprechend dem aktuellen Physiknobelpreis 2018 bildete die Laserphysik ein Kernthema.
Raúl Stühler und Tobias Müller von der Universität Würzburg haben an der diesjährigen Nobelpreisträgertagung teilgenommen und hatten hierfür ein internationales Bewerbungs- und Auswahlverfahren absolviert. Kurz nach ihrer Rückkehr von der Tagung berichten die beiden Physik-Doktoranden, was sie in Lindau erlebten.
Nobelpreisträger von Studierenden umringt
„Am spannendsten war der Austausch mit jungen Wissenschaftlern aus aller Welt, für mich persönlich noch interessanter als das Treffen mit berühmten Nobelpreisträgern“, sagt Raúl Stühler, Doktorand in der Arbeitsgruppe von Professor Ralph Claessen am Lehrstuhl für Experimentelle Physik IV.
Jeden Morgen um 7 Uhr ging es los mit dem Tagungsprogramm, in der riesigen Inselhalle „fliegt man von Gespräch zu Gespräch“, erzählt Stühler. „Plötzlich war ich im Gespräch mit amerikanischen Kollegen einer bekannten Arbeitsgruppe auf meinem Forschungsgebiet der Oberflächenphysik, hier könnte sich sicherlich ein guter Kontakt ergeben.“
„Auf der Tagung laufen überall Nobelpreisträger herum, rein zufällig sind wir gleich zu Beginn Klaus von Klitzing begegnet. Er wirkte super ambitioniert und war ständig von Studierenden umringt“, erinnert sich Stühler. Der Physiker Klaus von Klitzing hat 1972 an der Universität Würzburg promoviert, für seine Forschung rund um den Quanten-Hall-Effekt ist er 1985 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet worden.
Spannend für Stühler war zu hören, dass Nobelpreisträger oft als Experten zu ganz anderen Themen als denjenigen ihres Nobelpreises gefragt sind. „Klaus von Klitzing erzählte uns von einem Termin, an dem er demnächst auf Donald Trump stoßen werde und mit dem US-Präsidenten über die Folgen des Klimawandels sprechen solle. Daran merkte ich, dass er als Nobelpreisträger seinen Einfluss für viele Themen, die uns in der Wissenschaft bewegen, nutzen will.“
Beim Lunch saß Stühler mit neun weiteren Nachwuchswissenschaftlern und einem Nobelpreisträger am Tisch – auch in dieser exklusiven Runde erlebte er die Nobelpreisträger als „ganz normale Menschen, sie haben mit mir so gesprochen wie mein jetziger Gruppenleiter an der Uni.“
Auf verworrenen Pfaden zum Nobelpreis
„Für mich war in Lindau die Dichte von hochdotierten Sprechern faszinierend. Und all ihre Menschlichkeit. Oft haben uns die Nobelpreisträger von ihrem Leben berichtet und von sich selbst gesagt, dass sie mehr oder weniger per Zufall ihren Nobelpreis bekommen hätten“, sagt Tobias Müller, Doktorand bei Professor Ronny Thomale am Lehrstuhl für Theoretische Physik I.
Beim Lunch habe J. Michael Kosterlitz seine Vorgeschichte zum Nobelpreis erzählt. Kosterlitz war Hochenergiephysiker, habe eine Bewerbungsfrist an das CERN verpasst und eher zufällig eine Stelle in England angetreten. Dort habe er David James Thouless kennengelernt und mit ihm zur Theorie topologischer Phasen der Materie geforscht, was 2016 zum Nobelpreis für Physik führte.
„Beeindruckt hat mich in Lindau auch, wie viele Fachgebiete der Physik auf einem Raum zusammenkommen. Bis ich jemanden aus meinem Forschungsgebiet der Festkörperphysik getroffen habe, hat es zwei Tage gedauert“, berichtet Müller.
Manche Teilnehmer seien mit einem Nobelpreis-Fotobildband auf der Tagung herumgelaufen, um möglichst viele Unterschriften oder Selfies von Nobelpreisträgern mit nach Hause zu nehmen. „Mich hat etwas anderes interessiert, welche Stories hinter den Nobelpreisträgern stehen und auf welch verworrenen Pfaden sie zum Nobelpreis gelangt sind. Und woran sie jetzt arbeiten, manchmal haben sie mit dem preisgekrönten Forschungsthema nur noch wenig zu tun.“
Für beide Würzburger Teilnehmer war die Lindauer Tagung „ein superschönes Event und eine hervorragend organisierte Konferenz“. Ein besonderer Moment fand zum Abschluss der Tagung statt: In einem Talk erlebten sie die jemenitische Friedensnobelpreisträgerin und Menschrechtsaktivistin Tawakkol Karman. Deren bewegenden Schilderungen der Protestbewegung im Jemen bildeten für die beiden Nachwuchswissenschaftler einen „wirklich emotionalen Moment zum Abschluss von sechs intensiven Tagen“.