Erstes Bild eines Unsichtbaren
12.05.2022Ein internationales Forschungsteam hat das erste Bild des supermassereichen Schwarzen Lochs im Zentrum der Milchstraße aufgenommen. Daran beteiligt waren Astronomen der Universität Würzburg.
Dieses Bild war lange erwartet: Es ermöglicht einen Blick auf das massive Objekt, das sich im Zentrum unserer Galaxie – der Milchstraße – befindet und liefert überwältigende Beweise dafür, dass es sich bei dem Objekt tatsächlich um ein Schwarzes Loch handelt. Darüber hinaus präsentiert es wertvolle Hinweise auf die Funktionsweise solcher Giganten, von denen man annimmt, dass sie sich im Zentrum der meisten Galaxien befinden.
Der erste visuelle Beweis
Verantwortlich dafür ist ein globales Forschungsteam, die Event Horizon Telescope (EHT) Collaboration, das dafür Beobachtungen aus einem weltweiten Netz von Radioteleskopen verwendet hat. Zuvor hatten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Sterne gesehen, die um ein unsichtbares, kompaktes und sehr massereiches Objekt im Zentrum der Milchstraße kreisen. Dies deutete stark darauf hin, dass es sich bei diesem Objekt – bekannt als Sagittarius A* (Sgr A*, ausgesprochen "sadge-ay-star") – um ein Schwarzes Loch handelt. Das jetzt veröffentlichte Bild liefert den ersten direkten visuellen Beweis dafür.
Schwarze Löcher selbst sind nicht sichtbar, weil von ihnen kein Licht ausgeht. Dennoch trägt das sie umgebende glühende Gas eine verräterische Signatur: eine dunkle zentrale Region (ein so genannter „Schatten“), die von einer hellen ringförmigen Struktur umgeben ist. Die neue Aufnahme fängt somit das Licht ein, das durch die starke Schwerkraft des Schwarzen Lochs, das vier Millionen Mal massiver ist als unsere Sonne, gebeugt wird.
Ein virtuelles Teleskop so groß wie die Erde
„Wir waren verblüfft, wie gut die Größe des Rings mit den Vorhersagen von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie übereinstimmt“, sagt EHT-Projektwissenschaftler Geoffrey Bower vom Institut für Astronomie und Astrophysik der Academia Sinica in Taipeh. „Diese beispiellosen Beobachtungen haben unser Verständnis der Vorgänge im Zentrum unserer Galaxie erheblich verbessert. Sie liefern neue Erkenntnisse darüber, wie diese riesigen Schwarzen Löcher mit ihrer Umgebung interagieren.“ Die Ergebnisse des EHT-Teams wurden am 12. Mai 2022 in einer Sonderausgabe der Zeitschrift The Astrophysical Journal Letters veröffentlicht.
Da das Schwarze Loch etwa 27.000 Lichtjahre von der Erde entfernt ist, erscheint es einem menschlichen Betrachter auf der Erde am Himmel in etwa so groß wie ein Donut auf dem Mond. Um es abzubilden, schuf das Team das leistungsstarke EHT, das acht bestehende Radioobservatorien auf der ganzen Welt zu einem einzigen virtuellen Teleskop in Erdgröße zusammenfügte. Das EHT beobachtete Sgr A* in mehreren Nächten und sammelte viele Stunden am Stück Daten, ähnlich wie bei einer langen Belichtungszeit einer Kamera. Dieser Durchbruch schließt sich an eine vergleichbare Veröffentlichung durch die EHT-Kollaboration im Jahr 2019 an: dem ersten Bild eines Schwarzen Lochs namens M87* im Zentrum der weiter entfernten Galaxie Messier 87.
Verblüffende Ähnlichkeit trotz großer Unterschiede
Die beiden Schwarzen Löcher sehen sich bemerkenswert ähnlich, obwohl das Exemplar in unserer Galaxie mehr als tausendmal kleiner und weniger massereich ist als M87*. „Wir haben zwei völlig unterschiedliche Arten von Galaxien und zwei sehr unterschiedliche Massen von Schwarzen Löchern, aber in der Nähe des Randes dieser Schwarzen Löcher sehen sie sich verblüffend ähnlich“, sagt Sera Markoff, Ko-Vorsitzende des EHT-Wissenschaftsrats und Professorin für theoretische Astrophysik an der Universität von Amsterdam. „Das sagt uns, dass bei diesen Objekten in der näheren Umgebung die Gesetze der Allgemeinen Relativitätstheorie gelten, und dass alle Unterschiede, die wir weiter entfernt sehen, auf Unterschiede im Material zurückzuführen sein müssen, das die Schwarzen Löcher umgibt.“
Wie ein Welpe, der seinen Schwanz jagt
Obwohl Sgr A* der Erde sehr viel näher ist als M87*, war die Aufnahme wesentlich schwieriger zu erstellen. Der EHT-Wissenschaftler Chi-kwan Chan vom Steward Observatory und dem Department of Astronomy and the Data Science Institute der University of Arizona, erklärt dies so: „Das Gas in der Nähe der Schwarzen Löcher bewegt sich mit der gleichen Geschwindigkeit – fast so schnell wie das Licht – sowohl um Sgr A* als auch um M87*. Aber während das Gas Tage bis Wochen braucht, um das größere M87* zu umkreisen, vollendet es bei dem viel kleineren Sgr A* eine Umlaufbahn in nur wenigen Minuten. Das bedeutet, dass sich die Helligkeit und das Muster des Gases um Sgr A* während der Beobachtung durch die EHT-Kollaboration schnell veränderten. Das ist ein bisschen so, als würde man versuchen, ein klares Bild von einem Welpen zu machen, der schnell seinen Schwanz jagt.“
Die Forscher mussten deshalb ausgeklügelte neue Methoden entwickeln, um die Gasbewegung um Sgr A* zu berücksichtigen. Während M87* ein einfacheres, stabileres Ziel war, bei dem fast alle Aufnahmen gleich aussahen, war dies bei Sgr A* nicht der Fall. Das jetzt veröffentlichte Bild des Schwarzen Lochs Sgr A* ist deshalb ein Durchschnitt vieler verschiedener Bilder, die das Team aufgenommen hat. Es enthüllt zum ersten Mal den Riesen, der sich im Zentrum unserer Galaxie befindet.
Harte Arbeit – auch für Supercomputer
Ermöglicht wurde dies durch den Einfallsreichtum von mehr als 300 Forscherinnen und Forschern aus 80 Instituten in aller Welt, die zusammen die EHT-Kollaboration bilden. Sie mussten komplexe Instrumente entwickeln, um die Herausforderungen bei der Abbildung von Sgr A* zu bewältigen. Der Einsatz von Supercomputern und fünf Jahre harte Arbeit waren nötig, um die Daten zu kombinieren und zu analysieren.
Gleichzeitig hat das Team eine noch nie dagewesene Bibliothek von simulierten Schwarzen Löchern zusammengestellt, die mit den Beobachtungen verglichen werden können. „Die numerischen Simulationen stellen extrem hohe Anforderungen an Supercomputer. Sie geben uns Aufschluss über die Dynamik der Materie und die Ausbreitung des Lichts in der gekrümmten Raumzeit des Schwarzen Lochs, die das beobachtete Bild prägt", erklärt Dr. Christian Fromm, Wissenschaftler am Lehrstuhl für Astronomie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) und Koordinator der EHT SgrA* Theory Working Group. Fromm war maßgeblich an der Modellierung der EHT-Daten beteiligt. Der Physiker ist außerdem Mitglied der DFG-Forschungsgruppe „Relativistische Jets in Aktiven Galaxien“, die vor knapp einem Jahr an der JMU die Arbeit aufgenommen hat.
Wertvolle Erkenntnisse zur Entwicklung von Galaxien
Was die Projektbeteiligten besonders freut, ist die Tatsache, dass sie nun Bilder von zwei Schwarzen Löchern sehr unterschiedlicher Größe haben. Das bietet ihnen die Möglichkeit zu verstehen, worin die beiden sich gleichen und worin sie sich voneinander unterscheiden. Mit Hilfe der neuen Daten können sie Theorien und Modelle darüber testen, wie sich Gas in der Umgebung von supermassereichen Schwarzen Löchern verhält. Dieser Prozess ist noch nicht vollständig geklärt; es wird jedoch angenommen, dass er eine Schlüsselrolle bei der Entstehung und Entwicklung von Galaxien spielt.
„Jetzt können wir die Unterschiede zwischen diesen beiden supermassereichen Schwarzen Löchern untersuchen, um wertvolle neue Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie dieser wichtige Prozess abläuft“, sagt EHT-Wissenschaftler Keiichi Asada vom Institut für Astronomie und Astrophysik der Academia Sinica in Taipeh. „Wir haben Bilder von zwei Schwarzen Löchern – eines am großen und eines am kleinen Ende des Spektrums der supermassiven Schwarzen Löcher im Universum –, so dass wir bei der Untersuchung, wie sich die Schwerkraft in diesen extremen Umgebungen verhält, viel weiter gehen können als jemals zuvor.“
Forschungsschwerpunkt an der Uni Würzburg
Die Fortschritte beim EHT gehen ebenfalls weiter: An einer großen Beobachtungskampagne im März 2022 waren mehr Teleskope beteiligt als je zuvor. Der kontinuierliche Ausbau des EHT-Netzwerks und bedeutende technologische Upgrades werden es den Wissenschaftlern ermöglichen, in naher Zukunft noch mehr beeindruckende Bilder und Filme von Schwarzen Löchern zu zeigen.
„An der Fakultät für Physik und Astronomie der JMU Würzburg legen wir einen Schwerpunkt in Forschung und Lehre auf die Physik relativistischer Jets ausströmenden Plasmas in der unmittelbaren Umgebung supermassereicher Schwarzer Löcher“, sagt JMU-Professor Matthias Kadler und ergänzt: „Auch Bachelor- und Masterstudenten der JMU beschäftigen sich im Rahmen ihrer Ausbildung und Abschlussarbeiten mit den neuen Daten des EHT und anderer radiointerferometrischer Arrays.“
Die beteiligten Teleskope
Die Teleskope, die im April 2017, als die Beobachtungen durchgeführt wurden, am EHT beteiligt waren, sind: das Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA), das Atacama Pathfinder Experiment (APEX), das IRAM 30-Meter-Teleskop, das James Clerk Maxwell Teleskop (JCMT), das Large Millimeter Telescope Alfonso Serrano (LMT), das Submillimeter Array (SMA), das UArizona Submillimeter Telescope (SMT) und das South Pole Telescope (SPT).
In der Zwischenzeit hat das EHT noch das Grönland-Teleskop (GLT), das Northern Extended Millimeter Array (NOEMA) und das 12-Meter-Teleskop der UArizona auf dem Kitt Peak in sein Netzwerk aufgenommen.
Das EHT-Konsortium
Das EHT-Konsortium besteht aus 13 beteiligten Instituten: dem Academia Sinica Institute of Astronomy and Astrophysics, der University of Arizona, dem Center for Astrophysics | Harvard & Smithsonian, der University of Chicago, dem East Asian Observatory, der Goethe-Universität Frankfurt, dem Institut de Radioastronomie Millimétrique, dem Large Millimeter Telescope, dem Max-Planck-Institut für Radioastronomie, dem MIT Haystack Observatory, dem National Astronomical Observatory of Japan, dem Perimeter Institute for Theoretical Physics und der Radboud University.
Links
Lehrstuhl für Astronomie der JMU
Pressemitteilung zur DFG-Forschungsgruppe „Relativistische Jets in Aktiven Galaxien“
Homepage der DFG-Forschungsgruppe
Artikel im Astrophysical Journal Letter
Kontakt
Dr. Christian Fromm, Lehrstuhl für Astronomie, T: +49 931 31-81981, christian.fromm@physik.uni-wuerzburg.de
Prof. Dr. Matthias Kadler, Lehrstuhl für Astronomie, T: +49 931 31-85138, matthias.kadler@astro.uni-wuerzburg.de