Das energiereichste jemals beobachtete Neutrino
12.02.2025Ein internationales Forschungsnetzwerk hat in den Tiefen des Mittelmeers ein kosmisches Neutrino mit einer rekordbrechenden Energie beobachtet. Auch die Würzburger Astrophysikerin Sara Buson und ihr Team waren daran beteiligt.

Aus den Tiefen des Mittelmeers haben Wissenschaftler, darunter Astrophysiker des Lehrstuhls für Astronomie in Würzburg, Deutschland, mit dem KM3NeT-Neutrinoteleskop ein kosmisches Neutrino mit einer rekordverdächtigen Energie von etwa 220 PeV nachgewiesen. Der ARCA-Detektor, Teil des KM3NeT-Tiefseeobservatoriums, erfasste dieses außergewöhnliche Ereignis, das als KM3-230213A bezeichnet wird und das energiereichste jemals beobachtete Neutrino darstellt.
Diese Entdeckung liefert den ersten Nachweis, dass Neutrinos mit solch extremen Energien im Universum produziert werden, ein Durchbruch, der heute in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht wurde.
Nach einer akribischen Analyse und Interpretation der experimentellen Daten, identifizierte die internationale wissenschaftliche Kollaboration mit dem kilometergroßen KM3NeT-Neutrinoteleskop am 13. Februar 2023 ein Signal mit einer Energie, die 16.000-mal höher ist, als die energiereichsten Teilchenkollisionen, die mit dem Large Hadron Collider (LHC) am CERN erzeugt werden können.
Der Detektor registrierte ein einzelnes Myon, das den gesamten Detektor durchquerte und Signale in mehr als einem Drittel der aktiven Sensoren auslöste. Die Richtung seiner Bewegung und seine Intensität deuten darauf hin, dass das Myon von einem kosmischen Neutrino in der Nähe des Detektors stammt. Neutrinos sind nach Photonen (Licht) die zweithäufigsten Teilchen im Universum. Da sie nur sehr schwach mit Materie wechselwirken, sind riesige Detektoren erforderlich, um sie nachzuweisen.
Ein riesiges Tiefsee-Teleskop
Das derzeit im Bau befindliche KM3NeT-Teleskop ist eine riesige Tiefsee-Struktur, die aus zwei Teilen besteht: ARCA und ORCA. Nach seiner Fertigstellung wird KM3NeT mehr als einen Kubikkilometer umfassen. KM3NeT nutzt Meerwasser sowohl als Nachweismedium, als auch als Schutz vor Hintergrundrauschen. Seine hochmodernen optischen Module detektieren das Tscherenkow-Licht, ein bläuliches Leuchten, das bei der Bewegung extrem schneller Teilchen entsteht, die durch Neutrino-Wechselwirkungen im Wasser erzeugt werden.
Das energiereiche Universum ist voller dramatischer Ereignisse – supermassereiche Schwarze Löcher, Supernova-Explosionen und Gammablitze – deren innere Mechanismen weitgehend unverstanden sind. Diese leistungsstarken kosmischen Teilchenbeschleuniger erzeugen Ströme von kosmischer Strahlung, die mit umgebender Materie oder Photonen interagieren und Neutrinos sowie hochenergetische Photonen erzeugen. Andere können mit Photonen der kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung kollidieren und extrem energiereiche kosmogene Neutrinos erzeugen.
Erforschung neuer Energiebereiche
KM3NeT detektiert nun Neutrinos aus diesen extremen, astrophysikalischen Ereignissen und erkundet bisher unerforschte Energiebereiche. "Diese erste Detektion eines Neutrinos im Hunderte-PeV-Bereich eröffnet ein neues Kapitel in der Neutrinoastronomie", sagt Paschal Coyle, KM3NeT-Sprecher zum Zeitpunkt der Entdeckung und Forscher am IN2P3/CNRS in Frankreich. Ein Petaelektronenvolt (PeV) entspricht 10^15 oder einer Billiarde Elektronenvolt.
Neutrinos gehören zu den rätselhaftesten Elementarteilchen – sie haben keine elektrische Ladung, fast keine Masse und wechselwirken nur schwach mit Materie. "Sie sind besondere kosmische Boten, die die Geheimnisse der energiereichsten Phänomene im Universum enthüllen", ergänzt Rosa Coniglione, stellvertretende Sprecherin von KM3NeT zum Zeitpunkt der Entdeckung und Forscherin am INFN in Italien.
Ein ungelöstes Rätsel
Die Bestimmung der Richtung und Energie dieses Neutrinos erforderte eine präzise Kalibrierung des Teleskops sowie fortschrittliche Spur-Rekonstruktionsalgorithmen. "Diese bemerkenswerte Entdeckung wurde mit nur einem Zehntel der finalen Detektorkonfiguration erzielt, was das enorme Potenzial unseres Experiments zeigt", kommentiert Aart Heijboer, KM3NeT-Physik- und Softwaremanager zum Zeitpunkt der Entdeckung und Forscher am Nikhef in den Niederlanden.
Die Herkunft des rekordverdächtigen Neutrinos bleibt eine offene Frage. Es könnte direkt aus einem leistungsstarken extragalaktischen kosmischen Beschleuniger stammen. "Hauptkandidaten sind Blazare, aktive galaktische Kerne, die von supermassereichen Schwarzen Löchern angetrieben werden und weitaus mehr Strahlung aussenden als der rest der Galaxie, in der sie sich befinden. Alternativ könnte das energiereiche Signal die erste Detektion eines kosmogenen Neutrinos sein", sagt Professorin Sara Buson, Leiterin des ERC-finanzierten MessMapp-Projekts an der Universität Würzburg (JMU) und DESY, sowie Mitautorin der Studie.
Eine von MessMapp und Kollaborationspartnern geleitete Untersuchung, die heute auf arXiv erschienen ist, analysiert die mögliche Blazar-Herkunft des KM3NeT-Neutrinos. "Dies erforderte eine bemerkenswerte Koordination internationaler Wissenschaftlerteams", sagt Dr. Massimiliano Lincetto, Postdoc in der MessMapp-Gruppe.
„Wir haben eine enorme Menge an Beobachtungen über das gesamte elektromagnetische Spektrum hinweg genutzt, sowohl aus Archiven als auch aus neuen Beobachtungen mit boden- und weltraumgestützten Teleskopen“, sagt Leonard Pfeiffer, Doktorand in der MessMapp-Gruppe – darunter das NASA Fermi Large Area Telescope und das Neil Gehrels Swift Observatory. Die Ergebnisse dieser Studie identifizieren siebzehn Blazare als mögliche astrophysikalische Gegenstücke zu dem UHE-Neutrino. Drei davon stechen besonders durch ihre Variabilität hervor. Zum Zeitpunkt der Neutrinoankunft zeigt ein Kandidat eine Radio-Flare, ein weiteres Objekt eine Gamma-Flare, und ein drittes Objekt weist eine verstärkte Röntgenstrahlung auf.
KM3NeT: Ein Schlüsselakteur der Multimessenger-Astronomie
Obwohl keine der astrophysikalischen Quellen eindeutig mit dem UHE-Neutrino verknüpft werden kann, werden geplante Erweiterungen des KM3NeT-Detektors und verbesserte Kalibrierungen voraussichtlich die Neutrino-Lokalisierung erheblich verbessern und Assoziationsunsicherheiten verringern.
"Die Herkunft und Mechanismen dieser extrem energiereichen Neutrinos – fast masselose und elektrisch neutrale Teilchen – bleiben ein tiefgehendes Rätsel unseres Universums. Unser Team wird weiterhin die Multimessenger-Astronomie vorantreiben, die der Schlüssel zur Lösung dieses Rätsels ist", schließt Prof. Buson.
Ein kurzes Video zu der Entdeckung ist hier zu sehen.
Finanzierung
Der Europäische Forschungsrat hat die Arbeit im Rahmen eines Starting Grant finanziert, Sara Buson ist Principal Investigator. ID: 949555, „Mapping Highly-Energetic Messengers across the Universe“ (MessMapp).
Publikation
- The KM3NeT Collaboration: Observation of an Ultra-High-Energy Cosmic Neutrino with KM3NeT, Nature, 12. Februar 2025, https://www.nature.com/articles/s41586-024-08543-1
- Characterising Candidate Blazar Counterparts of the Ultra-High-Energy Event KM3-230213A Observed by KM3NeT, arXiv, 12. Februar 2025, https://arxiv.org/abs/2502.08484
Kontakt
Prof. Dr. Sara Buson, Lehrstuhl für Astronomie, Universität Würzburg, sara.buson@uni-wuerzburg.de